Der Responsibility Process lässt sich in sehr vielen verschiedenen Situationen und Bereichen anwenden. Diese beinhalten private wie berufliche Aufgaben bzw. Verantwortungsbereiche. Oft merken wir gar nicht, dass es sich um Verantwortung handelt, oder es eine sein könnte. Viel zu oft finden wir uns in der Situation von Verpflichtung, Rechtfertigen, Schämen, Beschuldigen oder Leugnen -- auch wenn wir uns dessen nicht bewußt sind. Manchmal schiebt man auch eine Verpflichtung von sich weg und dennoch (oder gerade deshalb) belastet sie einen.
Inhalt
- Wer hat's erfunden?
- Verantwortungsvoll versus 100 % Verantwortung übernehmen
- Beispiel
- Wie schaffe ich es auf die Stufe von 100% Verantwortung zu kommen?
- Erkenne die Kausalattribution
- Determinismus oder freier Wille
- Wie gehe ich mit Verantwortlichkeiten in der Organisation um?
- Drei Schlüssel zur Verantwortung
- Das Mensch-erwisch-dich-früher Spiel
- Wie integriert sich der Responsibility Process in eine Gruppe / Organisation?
1. Wer hat's erfunden?
Christopher Avery hat das Buch "The Responsibility Process" geschrieben, das am 16.09.2016 in der ersten Auflage erschienen ist. Der originale Titel lautet: "The Responsibility Process: Unlocking Your Natural Ability to Live and Lead with Power"
Christopher Avery ist ...
- CEO von Partnerwerks, Inc.
- Initiator von 'The Leadershift Gift'
- Trainer, Mentor und keynote speaker
Die deutsche Übersetzung wurde von Nadine und Henning Wolf geschrieben. Sie ist im Januar 2019 erschienen.
Das ursprüngliche Modell hat Bill McCarley entwickelt.
Ich habe auf der OOP 2019 einen Workshop von Nadine und Henning Wolf besucht. Das Thema des eintägigen Workshops war "Einführung in den Responsibility Process".
Im wesentlichen stütze ich mich im Folgenden auf die deutsche Übersetzung, auf die Erkenntnisse aus dem Workshop und auf meine eigenen Erfahrungen.
2. Verantwortungsvoll versus 100 % Verantwortung übernehmen
Was ist der Unterschied zwischen
- verantwortungsvollem Handeln bzw. verpflichtet sein, etwas zu tun, und
- wenn man für eine Sache zu 100% die Verantwortung übernimmt?
Wir werden von klein auf zu verantwortungsvollem Handeln erzogen. Handeln wir nicht verantwortungsvoll, hat dies Konsequenzen, die unter anderem Position, Rolle und Ansehen in unserem sozialen Umfeld beeinflussen.
Verantwortungsvoll zu sein ...
- ... ist eine Selbstverpflichtung zu Gefühlen der Sicherheit durch Anerkennung.
- ... basiert auf Gefühlen von Scham und Verpflichtung.
- ... basiert darauf, dass wir vorgefertigte Antworten haben in Form von Leugnen, Beschuldigen und Rechtfertigen.
- ... kann die Bereitschaft herabsetzen, immer aus Verantwortung zu handeln.
Aus 100% Verantwortung handeln ist eine Selbstverpflichtung zu Gefühlen der Freiheit durch Selbstführung und Wachstum.
Beide Ansätze dürfen nicht als richtig oder falsch bewertet werden.
Jeder hat immer wieder zwischen der einen oder anderen Alternative die Wahl.
Jeder wählt selbst, wie aktiv oder passiv er sich einbringt.
Handeln wir aus 100% Verantwortung, dann ...
- können wir Probleme wirklich lösen,
- lernen wir dazu,
- sind wir wirkungsvoller
- auch als Vorbild und Führungspersönlichkeit
3. Beispiel
Beispiel
Ein Software-Entwickler bekommt im Rahmen eines Reviews von einem Kollegen verschiedene Verbesserungsvorschläge zu seinem Code. Er reagiert unterschiedlich.
- Zunächst schämt er sich vor seinem Kollegen, dass dieser so viele Verbesserungsvorschläge gefunden hat.
- Dann rechtfertigt er sich, dass er nicht so viel Zeit hatte, alles richtig zu programmieren.
- Schließlich beschuldigt er den Kollegen, dass dieser erstens sich nicht alles richtig angeschaut hat und selbst auch viele dieser Fehler macht.
- An einigen Stellen leugnet er, dass er den Code so programmiert hat. Das war schon vor seinen Änderungen so.
- Schließlich sieht er ein, dass er im Rahmen des Reviews für die Verbesserungen im Code verantwortlich ist und bessert die offensichtlichsten Stellen aus.
Er hätte aber auch gleich von vorneherein seine Fehler akzeptieren können und konstruktiv auf das feedback des Kollegen eingehen können. Dazu braucht es einer inneren grundsätzlichen Bereitschaft und den Willen und Mut sich dieser Aufgabe zu stellen. Er übernimmt 100% Verantwortung gegenüber dem Code, den er im Rahmen seiner Aufgabe zur gemeinsamen Software beisteuert. Er bespricht mit dem Kollegen die Verbesserungsvorschläge und erarbeitet einen Plan zur Umsetzung.
Was lernen wir daraus?
Werden wir mit einer Aufgabe oder einem Problem konfrontiert, so ist *jede* Reaktion darauf aus der Liste der möglichen Aktionen laut Responsibility Process nur natürlich und legitim. Während der Konfrontation können wir zwischen den Reaktionsmöglichkeiten Fahrstuhl fahren und diese wechseln. Bei den oberen Begriffen in der Liste herrscht Klarheit, bei den unteren verdichtet sich der Nebel .
Das Maß für die Klarheit ist die Qualität der Antworten auf die folgenden Fragen:
- Was will ich?
- Was ist das Problem?
Wenn ich nicht weiß, was ich will, dann bin ich schneller in der Verpflichtung und es ist schwer in die Verantwortung zu kommen.
4. Wie schaffe ich es auf die Stufe von 100% Verantwortung zu kommen?
- Erkenne das Problem!
- Was ist mein Ziel hinsichtlich des Problems? Was will ich?
- In welcher Situation bin ich aktuell? Zu welcher Stufe des Responsibility Process kann ich meine Einstellung gegenüber dem Problem zuordnen?
5. Erkenne die Kausalattribution
Menschen agieren aufgrund von Ursache-Wirkungs-Beziehungen ungeachtet dessen, ob diese wahr oder falsch sind.
Der Verstand nimmt Attributionen vor, er generiert aus Wahrnehmungen Zuschreibungen.
Der fundamentale Attributionsfehler besteht in der menschlichen Neigung, die Ursache von beobachteten Verhalten in Personen und ihren Charakter-Eigenschaften zu suchen, anstatt in den Merkmalen der jeweiligen Situation.
Die Zuschreibung kann zu einem selbst geschehen, ebenso wie zu einem anderen.
Je eher und besser ich die Kausalattribution erkenne, desto besser kann ich die Situation (mein Leben, meine Arbeit, mein Privatleben) in Besitz nehmen.
6. Determinismus oder freier Wille
Die Debatte geht aus der Wahrnehmung von Ursache und Wirkung hervor.
freier Wille menschliche Fähigkeit, bewusste individuelle Entscheidungen treffen zu können;
Determinismus Gedanken und Handlungen der Menschen sind vorbestimmt
Ich kann nicht steuern, was mir im Leben widerfährt, aber ich kann in jeder Situation entscheiden, welche Gefühle und Handlungen ich zulasse.
7. Wie gehe ich mit Verantwortlichkeiten in der Organisation um?
Das systematische Regeln von Verantwortlichkeiten ist der Zweck jeder organisatorischen Hierarchie. Verantwortlichkeit ist das erste Werkzeug des Managements.
Oft entsteht der Eindruck, dass die Verantwortlichkeit unpräzise und kompliziert geregelt wurde. Hat jede Seite die gleichen klaren Erwartungen bezüglich der Verantwortlichkeit? Übernimmt jede Seite die Verantwortung dafür, diese Klarheit herzustellen?
Führungskräfte bevorzugen es, andere verantwortlich zu machen, anstatt das Gefühl persönlicher Verantwortung in sich und anderen zu entwickeln.
Unser Sinn für Verantwortung hat einen viel mächtigeren Einfluß auf unser Handeln und unsere Ergebnisse als die Verantwortlichkeitsbeziehungen.
Je mehr Personen, Teams oder Organisationen über Verantwortlichkeit steuern, desto weniger übernehmen die Menschen Verantwortung.
Wie kann Verantwortung gefördert werden?
- Es ist ausdrücklich erlaubt, Fehler zu machen, sich selbst zu korrigieren und daraus zu lernen.
- Herausfordernde Belastungen müssen zugelassen werden - mit Betonung auf herausfordernde.
- Es muss möglich sein, über die erfahrenen Konsequenzen (auch in der Gruppe) zu reflektieren und zu lernen.
Menschen, die Verantwortung übernehmen, eliminieren das Bedürfnis, andere verantwortlich zu machen.
8. Drei Schlüssel zur Verantwortung
- Absicht, aus Verantwortung handeln zu wollen
- Aufmerksamkeit bezüglich meines mentalen Zustands
- Wo befinde ich mich im Responsibility Process?
- Was war der Auslöser für diesen Zustand?
- sich stellen
Absicht
- Finde heraus, was du willst
- Ärger oder Angst sind Zeichen, dass ich mich blockiert fühle, indem ich etwas nicht habe, was ich will.
Aufmerksamkeit
- Ich schärfe meine Aufmerksamkeit.
- Ich beobachte mich selbst.
- Mein Standpunkt bestimmt meine Wahrnehmung.
Der erste Schritt zu Veränderung ist Wahrnehmung.
Der zweite Schritt ist Akzeptanz.(Nathaniel Branden, 1999)
Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht.
(Matthäus / Lukas Evangelium)
sich stellen
- Das Lösen von Problemen erweitert meine Fähigkeiten.
- Ich kann mich beweisen, wenn ich einen klaren Kopf behalte, wenn alle anderen ihn gerade verlieren.
- Das Lernen folgt dem 'sich stellen' -- selten ist es anders herum.
9. Das Mensch-erwisch-dich-früher Spiel
- erwischen: Ich erwische mich selbst bei dem, was ich ändern will.
- verändern: Ich zeige das erwünschte Verhalten.
- vergeben: Ich vergebe mir selbst, dass ich nur ein Mensch bin.
- geloben: Ich werden mich beim nächsten Mal früher erwischen.
10. Wie integriert sich der Responsibility Process in eine Gruppe / Organisation?
Der Responsibility Process funktioniert nur, wenn ich ihn auf mich selbst anwende, und nicht auf andere.
- Alignment: Zweck gebundene Ausrichtung der Gruppe
- Integration: Jeder nimmt die gemeinsamen Werte, Prizipien und Überzeugungen an. Aber auch die Unterschiede in einer Gruppe werden einbezogen und gewürdigt.
Ich benötige keine Autorität über andere, wenn ich in der Gruppe etwas bewegen möchte. Mit vielen kleinen Dingen kann ich Dynamiken positiv beeinflussen. Ich übernehme Verantwortung und gehe mit positiven Beispiel in der Gruppe voran.
Datum 23.06.2019 / Text Thomas Steglich / Photo / Artikel als PDF ( KB) / tweet Artikel / feedback Formular.